Am 20. Mai 1842
[9.1] Um das, was den evangelischen Teil betrifft, so recht ins Auge zu fassen, wird es notwendig sein, euch zunächst mit der Form solcher Berge ein wenig vertraut zu machen.
[9.2] Zu diesem Zweck ist es wohl gut und nützlich, entweder selbst, soviel es tunlich ist, solche Berge zu besteigen, oder wenigstens gelungene Abzeichnungen derselben mit aufmerksamen Augen zu betrachten; denn durch ihre verschiedenen Höhen, durch ihre Abstufungen, durch die Gräben und Täler, wenn alles dieses mit Aufmerksamkeit betrachtet wird, wird das Gemüt geweckt, und der Geist sucht da beim Anblick solcher Berge selbst seine Augen zu öffnen und darüber zu denken, ob und wie da Wege aufwärts möglich sein dürften.
[9.3] Dass solches seine Richtigkeit hat, bezeugt der Drang bei Besteigung eines Berges, so bald als nur immer möglich die höchste Spitze zu erreichen, und auch der Drang und die tüchtige Begierde, wenn einem solch hohe Berge zu Gesicht kommen, alsbald ihre höchsten Gipfel zu ersteigen.
[9.4] Fragt euch selbst, worin solcher Grund liegen kann? Meint ihr, er liege etwa in der Ausbeutung irgendeiner oder mehrerer Fernsichten? Oder liegt er etwa in dem Begehren nach dem Genuss der reinsten Luft? Wer solches behauptet, der ist mehr denn über die Hälfte irrig daran; denn was die Fernsicht betrifft, so ist diese wohl für das Auge des Fleisches lohnend, aber um solche zu genießen, bedarf es ja eben nicht der höchsten Gebirgsspitzen, sondern oft nur wenig bedeutender Anhöhen, von welchen eine nicht selten bedeutend üppigere Aussicht zu gewinnen ist als von so manchen höchsten Gebirgsspitzen, welche doch gewöhnlich wieder von anderen hohen Bergen umlagert sind, da man denn oft nichts anderes als einige ebenfalls [weitere] Gebirgsspitzen im Umkreis erblickt und in keine Ebenen, Täler, Flüsse und Seen seine Blicke senden kann.
[9.5] Was aber die reine Luft betrifft, so braucht jemand nur auf einen Hügel zu steigen, der höchstens zwei oder dreihundert Klafter hoch sein darf, so kann er daselbst auch schon eine sehr reine Luft genießen.
[9.6] Wenn sonach jemand diese zwei Punkte recht tüchtig beachtet, so wird er gar leicht gewahren, dass sie nicht ausschließend der Grund sein können, darum so viele Menschen von den hohen Gebirgsspitzen also angezogen werden, dass diese nicht selten ihr Leben wagen, um mit der größten Anstrengung die höchste Spitze zu erklimmen.
[9.7] Wenn denn solches unleugbar ist, nachdem es doch die tägliche Erfahrung lehrt, dass fast jeder Mensch, so er nur irgendeinen hohen Berg ansieht, er auch schon in sich den Wunsch verspürt, so es nur möglich wäre, sich sogleich auf diesen oder jenen hohen Bergesscheitel zu versetzen – selbst dann noch, wenn er den Berg tagtäglich sieht und er auch schon zu öfteren Malen auf demselben war –, so muss ja doch noch ein anderer Grund vorhanden sein, der ihn hinaufzieht.
[9.8] Dieser Grund ist der schon besagte und besteht sonach in dem Wachwerden des Geistes bei solchen Gelegenheiten; denn wie euer Sprichwort sagt, dass sich Gleiches und Gleiches gern zusammengesellt, solches ist auch hier buchstäblich der Fall.
[9.9] „Wie so?“, werdet ihr fragen. Nun, so hört!
[9.10] Der Geist zieht den Geist an wie die Materie die Materie und das Fleisch wieder das Fleisch. So da in einem Menschen beschlossen wird, dass er auf irgendeinen hohen Berg seine Füße setzen will, so geht aus dieser Vornahme ein Willensrapport hinauf in die hohen Geistersphären. Durch diesen Rapport werden die Geister sobald inne, was da ein Mensch tun will.
[9.11] Will er sich nun ihren Sphären wirklich nahen, so wird von den Geistern sobald ein Rückrapport erstattet. Dieser Rückrapport ist für den Geist, der noch im Leib schläft, fast dasselbe, was ihr in leiblicher Hinsicht eine magnetische Affektion nennt, oder was im weiteren Sinne das Magnetisieren selbst ist, durch welche Handlungsweise einem schwachen Organismus durch einen starken, lebensvollen eine Zeit lang eine neue Lebenskraft mitgeteilt wird; kurz und gut, auch der Geist, der da noch schwach ist und schläft im Menschen, wird von höheren Geistern also magnetisch geweckt – freilich nicht für bleibend, sondern auf eine kürzere oder längere Zeit nur.
[9.12] Wenn auf diese Weise der Geist erweckt ist, so möchte er auch eiligst sich schon dort befinden, von wannen her er gezogen wird, d. h. er möchte sich schon sogleich unter seinesgleichen befinden; daher treibt er denn auch alsbald durch die Seele den Leib mächtig an und zieht und schleppt ihn hinauf zu den schwindelnden Höhen.
[9.13] Wenn hernach ein solcher Mensch solche Höhen wirklich erstiegen hat, so freut sich der Geist, dass er sich befindet in seiner wahren Gesellschaft. Allein, da aber die freien Geister wohl die reinste Einsicht haben, dass für solch einen unzeitigen Geist hier noch keines Bleibens ist, da stellen sie sich sobald wieder außer Rapport mit ihm; sodann sinkt der Geist wieder in seinen Schlaf zurück, dem Leibmenschen wird’s dann unbehaglich auf solchen Höhen, dass er sich darum bald wieder sehnsüchtig hinabbegibt in die Täler, in denen ihm entsprechende Wohnungen sich befinden.
[9.14] Seht, das ist der eigentliche Grund, warum der Mensch, wenn er übrigens nicht gar zu naturmäßig weltlich gesinnt ist, also angezogen wird von den Bergen und ihren höchsten Gipfeln.
[9.15] Bei ganz naturmäßigen Menschen ist solches wohl freilich nicht der Fall, denn entweder haben diese gar keinen Sinn dafür – welches so viel besagt, als ihr Geist ist dergestalt schwach und krank, dass er keiner anderweitigen geistigen Affektion mehr fähig ist – oder wenn schon solche naturmäßigen Menschen irgend hohe Berge besteigen, so werden sie dazu nur von den argen Geistern angetrieben, entweder aus Gewinnsucht oder aus purer Prahlerei, um dann sagen zu können: „Ich war auf dieser und jener noch von keines Menschen Fuß bestiegenen Spitze eines Berges der Erste!“, – der gewisserart mit seinem sehr unheiligen Fuß die heilige Spitze des Berges entweiht hat.
[9.16] Solche Gebirgsbesteiger werden dann auch fast allzeit für ihre ruhmverdienstliche Handlung von den Friedensgeistern gar übel bedient. Entweder lassen sie einen solchen Rühmler eine Höhe erklettern; wenn er aber dann oben ist, so wird er sobald von einem übermäßigen Kopfschwindel und darauf folgender großer Todesangst heimgesucht und muss oft stundenlang zappeln, bis sich irgend ein Geist seiner erbarmt – so er genug gebetet hat – und ihn dann hinabklettern lässt einen höchst beschwerlichen und mit augenscheinlicher Todesgefahr verbundenen Weg. Oder die Geister lassen ihn auf eine leichter zu ersteigende Höhe kommen; wenn er aber sich schon siegreich oben befindet, so beschicken sie ihm oft augenblicklich ein grässliches Ungewitter über den Hals, durch welches er für seine rühmliche Bemühung so tüchtig ausgezahlt wird, dass er bei sich selbst einen festen Eid ablegt und sagt: „Wenn ich nur dieses Mal mit dem Leben davonkomme, wahrlich, es soll mich hinfort keine Gebirgshöhe mehr anlocken, und wäre sie nur einige Klafter hoch, sie wieder zu besteigen!“
[9.17] Wer aber da möchte eine solche Gebirgsspitze frevelnd oder zufolge einer habsüchtigen Wette erklimmen, der kann aber auch schon sogleich früher [zuvor] in der Ebene seine letzte Willensanordnung hinterlassen; denn ein solcher Gebirgsbesteiger wird wohl nimmerdar seine Füße mehr in der Ebene gebrauchen, – aus welchem Grund auch nicht selten ähnliche Gebirgsbesteiger verunglücken und sich entweder sogleich zerfallen, oder sie werden auf irgendeine Höhe geführt, auf welcher sie dann auch gewöhnlich für alle ewigen Zeiten verbleiben, d. h. dem Leibe nach.
[9.18] Ja, die Geister haben da allerlei Mittel, um die Frevler auf das Empfindlichste zu strafen.
[9.19] Aber nicht also ergeht es demjenigen, der da aus höherem Antrieb die Höhen der Berge besteigt.
[9.20] Ein solcher Mensch wird nicht nur auf keine Gefahren stoßen, sondern er wird allzeit gewaltig gesegnet und gestärkt wieder zurückkehren, so zwar, dass bei manchen solchen Gebirgsbesteigern und großen inneren Freunden derselben ihr Geist für bleibend geweckt worden ist und sie dadurch zu Sehern und Propheten wurden.
[9.21] Aus diesem Grund habe Ich auch euch noch allzeit geraten, gern auf die Berge zu gehen, weil denn doch bei jeder, wenn auch nur momentanen Geisteserweckung dem Geist eine Stärkung zurückverbleibt also, wie einem schwachen Menschen die naturmäßige Lebenskraft nach jedem einzelnen sogenannten Magnetisieren erhöht wird und, wenn er oft genug magnetisiert worden ist, er endlich mit schwacher Beihilfe anderer Mittel zur vollen Gesundheit und Lebenstätigkeit wieder gelangt.
[9.22] Wenn demnach der Mensch redlichen Sinnes ebenfalls sich öfter von den hohen Geistern also geistig magnetisieren lässt und gebraucht dazu das leichte Arzneimittel der Liebe, so wird er auch um desto eher zum Ziel gelangen, welches da heißt: die Wiedergeburt des Geistes. Daher geht gern auf Berge von bedeutendem Höhenmaße, und seid liebtätig, so wird eure noch schwache Liebe zu Mir sicher um desto eher ganz lebendig werden. Neben diesem großen, ja größten Vorteil gibt es aber noch viele andere, wovon wir die wichtigsten ein nächstes Mal näher betrachten wollen. Und so lassen wir es heute wieder bei dem bewendet sein.
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